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Verband Unabhängiger Kunstsachverständiger

Begleitprogramm zur Mitgliederversammlung am 8. und 9. Oktober 2021

Unsere diesjährige Mitgliederversammlung am 8. Oktober fand im ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) in Karlsruhe statt, wo uns kostenlos ein angenehmer Seminarraum zur Verfügung gestellt wurde.

Nach der Begrüßung durch Behrend Finke führte uns Bernhard Serexhe (als Mitbegründer des ZKM ab 1994) und Leiter des ZKM Medienmuseums (von 2006 bis 2016) in die Entstehung, Zielsetzung und Arbeit dieser weltweit einmaligen Institution ein. In einem wirtschaftlich und politisch günstigen Umfeld war das ZKM bereits ab Mitte der 1980er Jahre als kultureller Motor vorausschauend auf den bevorstehenden Wandel von der analogen zur digitalen Gesellschaft geplant und 1989 unter der Leitung des Kunsthistorikers Heinrich Klotz als große Kulturinstitution im Sinne eines elektronischen/digitalen Bauhauses gegründet worden.

Als Stiftung des öffentlichen Rechts wird es seit seiner Gründung jeweils zur Hälfte vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Karlsruhe großzügig finanziert. Parallel und im Hinblick auf eine enge Kooperation mit dem ZKM wurde 1992 als vierte Säule des genannten Bauhauses durch Heinrich Klotz die Staatliche Hochschule für Gestaltung gegründet.

Die Summe aller öffentlichen Zuwendungen für das ZKM und die HFG seit 1989 kann grob bis zu einer Milliarde Euro angegeben werden, eine aus heutiger Sicht unermesslich hohe Investition, die sich auch nachträglich dadurch rechtfertigt, dass die starke Ausstrahlung des ZKM zu einem Alleinstellungsmerkmal Karlsruhes als Unesco Creative City of Media Arts geworden ist. Tatsächlich sind seit dem Bestehen des ZKM in Karlsruhe mehr als 2.000 Startups im IT-Bereich gegründet worden.

Heinrich Klotz hatte dem ZKM die Vision eines trojanischen Pferdes der Informationsgesellschaft mit auf den Weg gegeben, eine Wegbeschreibung, die über die Begleitung der digitalen Transformation in den Künsten, vor allem zur kritischen Reflektion dieses Wandels verpflichtet. LVon Beginn an widmete sich das ZKM der Erforschung und Vermittlung der Digitalisierung in allen gesellschaftlichen und vor allem kulturellen Bereichen. Gemäß seinen Aufgaben wurden zunächst die beiden Forschungsinstitute Bildmedien, Musik und Akustik sowie eine Mediathek aller Gattungen gegründet, die seither mit umfassenden Stipendien-Programmen in ihren Medienlaboren Hunderte von Gastkünstlern aus der ganzen Welt empfangen und in der Produktion sowie Verbreitung bislang einzigartiger Werke unterstützt haben. Gleichzeitig befanden sich mit starker Sammlungs- und Produktionstätigkeit das Medien-Museum und das Museum für Neue Kunst im Aufbau. Sie wurden beide 1997 im Hallenbau der ehemaligen Munitions- und Waffenfabrik im Zentrum Karlsruhes mit Ausstellungsflächen von zuletzt 15.000 Quadratmetern für das allgemeine Publikum eröffnet.

In beiden Museen, die 2016 zu einem kuratorischen Bereich zusammengeführt wurden, haben seit ihrer Eröffnung mit bis zu 35 Ausstellungen im Jahr Hunderte thematische und monografische Ausstellungen stattgefunden. Darüber hinaus ist das ZKM seit 1992 kontinuierlich mit einer ebenfalls großen Anzahl an Ausstellungen weltweit in zwei wichtigen Kulturinstitutionen präsent. Seit der Übernahme seiner künstlerischen Leitung durch den Theoretiker und Künstler Peter Weibel im Jahr 1999 ist sein Profil weiter im Hinblick auf ein besseres Verständnis der Digitalisierung und ihrer Folgen geschärft worden.

Im Anschluss an diese Einführung hatten wir Gelegenheit, mit einer hausinternen Führung einen Einblick in die vom französischen Philosophen Bruno Latour kuratierte Ausstellung Critical Zones (23.05.2020-09.01.2022) zu gewinnen, in der mit wissenschaftlichen und künstlerischen Projekten Fragen der existentiellen Bedrohung der Lebensbedingungen auf dem Planeten Erde untersucht, diskutiert und vermittelt werden. Die hier als ein Netz von kritischen Zonen verstandenen Lebensformen und ver- änderten Bedingungen auf der Erde werden langfristig von wissenschaftlichen Observatorien untersucht. Hierdurch ist in den letzten Jahrzehnten erkennbar geworden, dass die Lebenswelt unseres Planeten zukünftig nicht mehr allein durch die maßlosen Ansprüche und Bedürfnisse des Menschen gestaltet werden darf. Die konkreten erhaltenen Eindrücke in dieser Ausstellung sind zu komplex, um sie hier in wenigen Worten überzeugend darzustellen. Für detailliertere Informationen empfehle ich deshalb an dieser Stelle die Website zur Ausstellung und ihrer vielen Themenseiten: https://zkm.de/de/ausstellung/2020/05/critical-zones.

Im Anschluss an diese Führung fand die ordentliche Mitgliederversammlung 2021 gemäß der vorab mitgeteilten Tagesordnung statt, zu der uns Kerstin Volker-Saad bereits am 16.10.2021 das von ihr erstellte Protokoll zugesandt hat. Nach dem Versammlungsende gegen 20 Uhr fanden wir uns im nahegelegenen, sehr angenehmen Restaurant La Mer zum gemeinsamen Abendessen zusammen.

Am nächsten Morgen wurde die kleine Gruppe der noch anwesenden Mitglieder in der Restaurierungswerkstatt der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe von Herrn Dr. Jacob-Friesen (Leiter der Abteilung Sammlung und Wissenschaft, deutsche, niederländische, französische und italienische Malerei des 14. bis 18. Jhdts.) zur seit ca. 15 Jahren in Restaurierung befindlichen Kreuztragung Christi (Staatliche Kunsthalle, Inv. Nr. 993) geführt. Die 196 x 152 cm messende Bildtafel von Matthias Grünewald, für die eine Datierung um 1524 angenommen wird, war vor ihrer Abspaltung die Vorder- bzw. Rückseite der im Jahr 1900 aus Tauberbischofsheim für die Kunsthalle erworbenen, weithin bekannteren Kreuzigung (Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes, Inv. Nr. 994). Beide Tafeln sind von unserer Kollegin Anna Moraht-Fromm dem materiellen und ikonografischen Bestand nach eingehend untersucht, detailliert beschrieben und kommentiert worden. Die für die Tafelmalerei des 15. und 16. Jahrhunderts unschätzbar wertvollen, in einem großen reich bebilderten Bestandskatalog (Anna Moraht-Fromm, Das Erbe der Markgrafen. Die Sammlung deutscher Malerei (1350-1550) in Karlsruhe, Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2013, 677 S.) publizierten Forschungen von Anna Moraht-Fromm geben weitaus tiefer gehende Auskunft zu diesem Hauptwerk Grünewalds, als wir vor dem Gemälde selbst erfahren konnten. Einige zu Beginn und während der noch andauernden Restaurierung durchgeführte Untersuchungen waren bereits durch die Restauratorin Karin Achenbach-Stolz publiziert worden.

Weil die Betrachtung unter den Bedingungen des Museumsraums immer von mehr oder weniger ehrfürchtigem Abstand geprägt ist, war es für unsere kleine Gruppe zunächst zutiefst beeindruckend, der großen Tafel in ihrer Arbeitssituation auf der Staffelei unmittelbar neben den weiten Fenstern der Werkstatt auf Nasenlänge nahezukommen. Das lud bei vielen Details die Augen zu tieferer Prüfung ein und führte zu kritischen Fragen zu den bisher erfolgten, bzw. weiter geplanten Maßnahmen der Restaurierung. Insbesondere wurden Bedenken zur Begründung einer allzu perfekten Wiederherstellung auch solcher Fehlstellen geäußert, für die das Werk schon seit der in Tauberbischofsheim erlittenen Feuchtigkeitsschäden sowie wegen seiner nachfolgenden ersten Restaurierung keine eindeutigen Anhaltspunkte mehr bietet.

Die Restaurierungspolitik der Kunsthalle Karlsruhe zielt nach Herrn Jacob-Friesen auf eine vollständige Wiedergewinnung des Werks; diese sei seiner kunsthistorischen Bedeutung und dem zukünftigen Publikum geschuldet. Vollständigkeit auch da, wo diese bereits verloren war, ist in der Kunstwissenschaft und konservatorischen Ethik immer kontrovers diskutiert worden. In vielen Fällen ist das starke Bemühen um Wiedergewinnung im (angeblich) alten Glanz in der populistischen Haltung mancher Museen begründet. So jedenfalls wurde das Thema in der Gruppe kurz angesprochen.

Beim nachfolgenden Besuch der Kreuzigung Grünewalds im Ausstellungsraum klang an, dass diese weniger restaurierte Tafel zukünftigen Besuchern weniger schön und farbig erscheinen wird, als die in fast zwei Jahrzehnten wiedergewonnene und dann frisch gefirnisste Kreuztragung Christi. Unser Besuch führte noch zu einigen anderen Werken, die letzte Gelegenheit, bevor die Kunsthalle Karlsruhe wegen Erweiterung und Umbau für viele Jahre geschlossen sein wird.

Bernhard Serexhe, im Oktober 2021

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